Der schöne geheimnisvolle Brief war jeden Morgen aufs Neue wieder total aufgeregt, wenn Paula aufwachte. Jetzt konnte es bald soweit sein…

Sein Umschlag war schön und geheimnisvoll gestaltet, denn schließlich stand in ihm ja auch eine schöne Geheimbotschaft. Er hatte eines Morgens unter Paulas Zimmertür gelegen und hing jetzt an der großen Pinnwand an Paulas Bett.

Und wartete nun darauf, dass sein Geheimnis gelüftet wurde.

Weil er so schön gestaltet war, schauten Paula und Bruno ihn von Zeit zu Zeit gerne an. Aber bisher hatte Paula noch nicht verstanden, was für eine geheime Botschaft der Brief zu erzählen hatte…

„Was steht da Mama?“, fragte Paula immer wieder. „Das kann ich dir nicht sagen“, sagte die Mutter dann immer. „Aber du bist ja jetzt ein Schulkind und wirst bestimmt bald lesen können, was der Brief zu erzählen hat, da bin ich mir sicher“.

Und auch der Brief, war sich sicher, dass der große Moment bald kommen würde. Denn er hatte gehört, dass Paula jetzt tatsächlich schon ganze Wörter und Sätze lesen konnte. Bald würde sie auch seine geheime Botschaft verstehen. „Die wird Augen machen“ dachte er sich …

Tringelingeling…

Wie jeden Morgen wurde Paula von Mama geweckt, wenn Schule war. Nachdem noch ein bisschen gemütlich gekuschelt worden war, begaben sie sich auf ihr alltägliches Morgenprogramm.

Aber erst wurde Papa gebührend verabschiedet: Erstmal drücken und bis zehn zählen, noch einen 10er Kuss hinterher und zur Abrundung noch ein 5er Drücker zum Schluss … „Papa, in welche Richtung? Schule oder Garage?“, fragte Paula jeden morgen, wenn Papa das Haus verließ. Heute antwortete er „Schule“. Ok – jetzt konnte der Stuhl so am Fenster platziert werden, dass Paula ihn möglichst lange winkend sehen und mit Luftküssen verabschieden konnte.

Jetzt konnte der Tag weiter beginnen. Paula und Mama waren ein richtig eingespieltes Team, und mittlerweile stritten sie sich jeden morgen nur noch ein bis zwei Mal, denn schließlich ging Paula jetzt schon ein halbes Jahr zur Schule.

Und heute fluppte irgendwie alles – Vom Toilettengang, über Waschen, anziehen, kämmen, frühstücken und Zähneputzen… zack zack zack war alles erledigt.

Mittlerweile beeilte Paula sich morgens, um schnell fertig zu sein, denn wenn alles erledigt war, konnte sie noch schön morgens vor der Schule in ihrem Zimmer spielen. Hach, diese Zeit war wunderbar, da fielen ihr immer lustige neue Sachen ein…

„Mama, darf ich eine Süßigkeit haben?“, fragte Paula dann manchmal. Fragen kostet ja nichts…. „Paula – doch nicht vor der Schule“, antwortete Mama dann. „Da müsste schon viel passieren, damit du morgens vor der Schule Süßigkeiten essen könntest…“ „Och männo“, sagte Paula dann.

„Paula, du hast noch 10 Minuten, dann musst du gehen“, rief Mama. – Keine Antwort. „Hast du mich gehört?“

Aus Paulas Zimmer war Gemurmel zu hören.

„Was machst du?“, fragte Mama. Keine Antwort…

Ohje, war heute doch wieder einer dieser Tage, an dem Paula beim Spielen die Zeit vergaß und nur schwer aufhören konnte…?

„So – jetzt musst du dich bitte fertig machen Paula, Schule geht jetzt los!“, rief Mama nun ein paar Minuten später.

Mit Freude sah sie, dass Paula direkt die Treppe herunter kam und ohne Probleme Schuhe, Jacke, Mütze und Schal anzog,

Hey, heute fluppte es doch richtig gut …

Als Paula dann auch ihren Schulranzen nahm, wollte Mama sie schon mit einem 5er Kuss und einem 5er Drücker verabschieden und einen schönen Tag wünschen.

Doch dann ging Paula nicht zur Haustür, sondern ins Wohnzimmer.

„Was machst du?“ – Keine Antwort.

„Paula, du musst zur Schule, die Haustür ist hieeer…“

Plötzlich sah die Mutter im Augenwinkel, dass Paula wie selbstverständlich den braunen Schrank im Wohnzimmer öffnete, und sich eine Tafel Schokolade nahm, einen Riegel abbrach ein Stück abbiss und mit einem breiten Grinsen zur Haustür ging.

„Kannst du mir mal sagen, was du da machst?“

Ne – heute fluppte offensichtlich doch nicht alles…

Anstatt zu antworten, drückte Paula Mama einen 10er Kuss auf die Wange und legte ihr gleichzeitig einen Umschlag in die Hand.

Dann verließ sie glücklich mit ihrem restlichen Schokoriegel das Haus und ließ Mama staunend zurück.

Als die Mutter sich wieder gefangen hatte, fiel ihr der Umschlag in ihrer Hand wieder ein und betrachtete ihn. Es war der schön gestaltete Briefumschlag von Paulas Pinnwand. Sie nahm den Brief heraus, las was in ihm stand und lachte los:

Ich bin ein Gutschein für eine Tafel Schokolade, die im braunen Schrank im Wohnzimmer auf dich wartet. Wenn du mich lesen kannst, darfst du direkt einen Riegel essen…

© Silke Siewert, 2015. Alle Rechte vorbehalten.